Das Naturrecht Vor Dem Naturrecht

Das Naturrecht Vor Dem Naturrecht
by Merio Scattola / / / PDF


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Die Geschichte des modernen politischen Denkens ist zum gro?en Teil die Geschichte des Naturrechts, das dem neuzeitlichen Staat seine erste rationale Begrundung lieferte. Dennoch ist das Naturrecht viel alter und geht auf die Antike zuruck. Wie sah es im 16. Jahrhundert aus, bevor es zur offiziellen Staatstheorie wurde? Die Vorstellung zweier feindlicher konfessioneller Lager - protestantisches Naturrecht von Melanchthon versus katholisches Naturrecht der Schule von Salamanca - verkennt den topologischen Charakter des fruhneuzeitlichen Wissens. Eher als nach Konfessionen la?t sich das Naturrecht im 16. Jahrhundert nach Disziplinen rekonstruieren, die durch besondere Fragestellungen und Methoden gekennzeichnet sind. Alle Varianten dieser Naturrechtslehre teilen ein gemeinsames Gedankengut. Sowohl von Theologen als auch von Philosophen und Juristen wird das ius naturae als eine Reihe von angeborenen Geboten verstanden, die mit dem Dekalog und den Grundregeln der Ethik identisch sind, von Gott in die Herzen der Menschen geschrieben wurden und, obwohl getrubt, auch nach dem Sundenfall wirken. Unterschiede treten erst dann auf, wenn die formalen Eigenschaften dieser Gebote festzulegen sind: Sind sie angeborene Ideen oder sollen sie als ein inhaltsloses Vermogen verstanden werden? Indem sie auf diese Fragen antwortete, konnte die humanistische Jurisprudenz durch eine langwierige Diskussion diesselbe Gliederung entwickeln, die vom modernen Naturrecht im 17. Jahrhundert verwendet wurde. Dennoch blieb das Naturrecht des 16. Jahrhunderts weit entfernt von der modernen politischen Wissenschaft der eine rational-individualistische und sakularisierte Auffassung von Recht und Gerechtigkeit zugrunde liegt.

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